8.1 Begrüßung und Einleitung
Guten Tag, meine Damen und Herren. Herzlich willkommen zur siebten Vorlesung unseres Kurses - wir haben also bereits Halbzeit erreicht. Heute möchte ich Ihnen einen spezifischen Bereich vorstellen, der die Philosophie im Kontext der KI-Funktionsweise besonders herausfordert. In den bisherigen Modellen und Technologien sind philosophische Konzepte bisher nur rudimentär umgesetzt. Ich werde Ihnen zeigen, an welchen Stellen dies der Fall ist und welchen Nutzen philosophische Beiträge und Analysen für eine angemessene Funktionsweise der KI haben können.
8.1.1 Rasante Entwicklung der KI-Technologie
Einige von Ihnen haben in der Vorlesung die Beispiele parallel mit den entsprechenden Chatangeboten ausprobiert und dabei festgestellt, dass sich die Ergebnisse und Funktionsweisen der jeweiligen Modelle täglich ändern. Lassen Sie sich nicht irritieren, wenn die Resultate, die Sie hier in der Vorlesung sehen, am Abend in Ihrer eigenen technologischen Umgebung anders ausfallen. Das gilt auch für die heutigen Beispiele.
Ich werde erneut auf das logische oder aussagenlogische Schließen eingehen. Bei den von mir genutzten Modellen beobachte ich, dass die Befundlage bezüglich der Schlüssigkeit eines Arguments von einem Tag auf den anderen schwankt. Wir werden gleich sehen, warum das so ist - zufriedenstellend ist es jedenfalls nicht.
Die KI-Technologie entwickelt sich derzeit in atemberaubendem Tempo. Wenn Sie Zeit haben, empfehle ich Ihnen, sich nächsten Montag die Präsentation von Apple anzuschauen. Das Unternehmen wird seine neue KI-Maschine namens Ajax vorstellen, die in jede Apple-Umgebung integriert sein wird - vom Notebook bis zur neuesten iPad-Generation.
Ich hatte bereits die Gelegenheit, eine Vorabversion zu testen. Zwar gibt es hier und da noch ein paar Kinderkrankheiten, aber das ist bei ersten Versionen nicht ungewöhnlich. Der Einsatz und die Funktionalität der KI werden sich in Zukunft radikal verändern und alle alltäglichen Anwendungen der Informatik durchdringen.
Als besondere Herausforderung möchte ich Ihnen in der nächsten Vorlesungswoche eine dieser Anwendungen zeigen. Ich will nur eine kryptische Andeutung machen: Wenn alles funktioniert, wird in alle Apple-Geräte eine Augenbewegungsdetektion integriert sein. Damit lässt sich erkennen oder abfragen, was Sie gerade auf dem Bildschirm anschauen. Das kann so weit zur Steuerung genutzt werden, dass eine Art Gedankenlesen stattfindet. Sie müssen dann keinen Text mehr mit der Maus auswählen, um etwas damit zu machen, sondern starren die gewünschte Passage einfach an. Anschließend fixieren Sie einen Ausführungsknopf mit Ihrem Blick - und schon wird die entsprechende Aktion ausgelöst. Ob und wie genau das funktioniert, werden wir uns anschauen. Hoffentlich verlieren wir uns dabei nicht zu sehr in Science-Fiction, sondern erahnen zum einen das rasante Entwicklungstempo und zum anderen die Mittel, mit denen diese Technologien zusammengeführt und integriert werden.
Der besondere technologische, ökonomische und anwendungsbezogene Reiz liegt nämlich gerade in der Verknüpfung der verschiedenen Elemente. Es geht nicht nur um die Funktionalität der KI selbst, sondern um deren nahtlose Einbindung in eine generelle Arbeits- und Nutzungsumgebung. Das reicht bis hin zum sogenannten Smart Home, bei dem diverse Geräte in einer Wohnung über eine solche Arbeitsumgebung ferngesteuert werden können. Doch dazu vielleicht mehr in der nächsten Stunde.
8.2 Sprachverarbeitung durch KI
Kommen wir zunächst noch einmal zum basalen Kern der KI-Funktionalität in Bezug auf Sprache zurück. Wir hatten ein beispielhaftes Textschnipsel thematisiert, das stellvertretend für alle Texte beliebiger Größe und Herkunft steht.
8.2.1 Allgemeingültigkeit des Beispiels
Was wir hier haben, ist nicht einmal ein bewusst von mir konstruiertes Zitat, sondern ein Satzfragment. Doch solche Textfragmente sind charakteristisch für alles, womit wir im Umgang mit Texten konfrontiert sind - seien es Schnipsel, Ausschnitte oder eine Art Zeitungsschnipsel. Von diesen wollen wir etwas wissen und mit ihnen arbeiten. Wie wir das mithilfe der KI tun können und welche philosophischen Konzepte hinter jeder KI stehen müssen, werde ich Ihnen heute verdeutlichen.
Die Befragung und Verarbeitung solcher Texte ist zunächst sehr generell. Der hier gezeigte Schnipsel steht exemplarisch für Textausschnitte jeglicher Größe und Provenienz.
Das gilt auch für das Goethe-Projekt, bei dem es um Dokumente geht, die Goethes Biografie betreffen. Wir haben dabei drei Hauptgruppen: Goethes eigene Schriften, seinen Briefwechsel und Dokumente, die sich auf sein Leben beziehen. Das umfasst alles, woran Goethe selbst beteiligt war oder was ihn unmittelbar betraf.
8.2.2 Große Dokumentenbestände
Doch das ist bei weitem nicht alles an Dokumenten, die in einem solchen Fall berücksichtigt werden müssen. Denn dazu gehört auch jegliches Material, das für den historischen Kontext relevant ist, um beliebige Anfragen an kleinste Schnipsel dieser Art sinnvoll beantworten zu können. Das schließt Dokumente von Zeitgenossen, historische, ökonomische und politische Schriftstücke mit ein.
In der heutigen Zeit der Nachdigitalisierung von Archiven und Bibliotheken liegt der Großteil dieser Dokumente bereits in digitaler Form vor, meist als PDF. Für historische Persönlichkeiten wie Goethe sind sie häufig sogar online zugänglich. Das Material ist also vorhanden.
8.2.3 Begrenzte Nutzbarkeit derzeitiger Digitalisate
Doch was können wir heute mit diesem Material anfangen? Im besten Fall lassen sich die PDF-Dokumente lesen - darüber hinaus ist man auf den eigenen Intellekt und das persönliche Textverständnis angewiesen. Das ist der Normalfall.
Was jetzt für die geisteswissenschaftliche und kulturhistorische Forschung ansteht, ist die inhaltliche Erschließung dieses Gesamtkorpus. Und genau diese Erschließung der schriftlichen Überlieferung wird sich der Methoden bedienen, die wir hier als KI für wissenschaftliche Inhalte thematisieren.
Derzeit sind diese Inhalte für die gängigen KI-Modelle weder zugänglich noch werden sie von ihnen verwertet. Auch auf die Archive wird kein Bezug genommen, sie werden nicht ausgewertet. Man kann keine sinnvollen Abfragen stellen, um beispielsweise einen Chat zu starten und nach einer bestimmten Aussage Goethes zu suchen. Auf solche Fragen wird man keine brauchbaren Antworten erhalten.
8.2.4 Philosophische Konzepte hinter der KI-Sprachverarbeitung
Doch warum ist das so? Um das zu verstehen, befassen wir uns zunächst mit dem Inhalt und den Problemen unseres beispielhaften Textschnipsels. Es handelt sich um einen oder mehrere Sätze, einen kleinen, künstlich zusammengeschriebenen Textausschnitt. Er lautet wie folgt:
“Wenn über Jahre durch die Menschheit zu viel CO2 erzeugt wird, steigt der Wasserspiegel des Ozeans. Der Lebensstandard in Italien ist sehr hoch und die Menschheit erzeugt zu viel CO2. Also steigt der Wasserspiegel.”
Das mag unscheinbar wirken, doch philosophisch hat es dieser Text durchaus in sich. Er ist zwar nicht schwer zu verstehen, aber auch nicht trivial.
8.2.5 Verarbeitung durch KI-Modelle
Wenn wir nun einen solchen Textschnipsel an ein GPT oder eine andere KI schicken, wissen Sie mittlerweile, was passiert: nämlich alles Mögliche. Denn das Programm bekommt zunächst keine Vorgabe, was es mit dem Schnipsel anfangen soll.
Das simulieren wir natürlich für die Vorlesung direkt. Ich habe hier einmal die zwei Hauptvertreter von Chat-Modellen genommen und den Textblock hineinkopiert. Die Chats sind so eingestellt, dass sie diesen Input als Aufforderung verstehen, etwas damit zu tun - ohne dass das explizit gesagt wird.
Sie können sehen, dass sich die Reaktionen von Maschine zu Maschine und von Tag zu Tag unterscheiden. Es gibt radikale Verweigerer, die höflich fragen, was Sie eigentlich von ihnen wollen. Aber die meisten Modelle fangen gleich an zu spekulieren, nach dem Motto: Sie wirken besonders intelligent, wenn Sie erst einmal Ihre eigenen Interessen einfüllen.
8.2.6 Verhalten von Chat-GPT
Genau das macht Chat-GPT hier. Die Voreinstellung lautet: Identifiziere ein Thema und liefere dann eine Standarderklärung dazu, wie sie etwa in Wikipedia zu finden wäre. Das ist die Grundhaltung, ohne dass man auch nur den Hauch eines Hinweises gegeben hätte.
GPT sagt dann beispielsweise etwas über die Auswirkungen von Kohlendioxid-Emissionen auf den Meeresspiegel. Das ist eine heikle Frage, die ich bewusst gestellt habe, um herauszufinden, wie das System zur Debatte um Klimafolgen und Klimawandelleugner steht.
Hier wird es interessant: Einige KI-Maschinen haben eingebaute Zensoren und schneiden gerade beim Thema Klimaleugner gewisse Informationen ab - selbst wenn man sie aus rein wissenschaftlich-politischem Interesse abfragt. Etwa, welche Politiker im Bundestag sich jemals kritisch zum Klimawandel geäußert haben.
Die derzeitige Voreinstellung der Unternehmen hinter den Modellen, in diesem Fall OpenAI und Anthropic, ist es, mehr oder weniger stark in die Antworten einzugreifen. Das hatten wir bereits in der ersten Stunde thematisiert: Eine erhebliche Schwierigkeit und Gefahr dieses Bereichs besteht darin, dass eine solche Datenselektion - man muss es nicht Zensur nennen - durch die Modelle stattfindet und wohl auch unvermeidbar ist.
Es müssen Wege gefunden werden, diese Selektion selbst mitzubestimmen, was momentan nicht der Fall ist. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass selbst bei scheinbar harmlosen Fragen im Hintergrund potenziell ein Zensurfilter am Werk ist, der bestimmte Informationen unterdrückt.
8.2.7 Nutzerseitige Steuerungsmöglichkeiten
Wir mögen es positiv sehen, dass völlig absurde Vorstellungen und Thesen, wie sie in den sozialen Medien kursieren, bei den Antworten nicht mehr berücksichtigt werden. Doch wir haben keinerlei Einblick in die zugrundeliegenden Mechanismen und Algorithmen - und noch weniger die Möglichkeit, hier selbst steuernd einzugreifen. Unsere diesbezügliche Autonomie ist derzeit nicht vorhanden. Das ist zunächst keine Wertung, sondern eine Beschreibung der Gegebenheiten.
8.3 Erste Befunde KI-Modelle
Lassen Sie uns nun das gleiche Experiment mit einem anderen Modell durchführen, um zu sehen, wie unterschiedlich die Maschinen mit dem Input umgehen. Wir probieren es mit Claude von Anthropic, der etwas anders eingestellt ist.
OpenAIs Chat-GPT agiert wie eine universelle Frage-Antwort-Maschine à la Google: Sie stellen eine Frage und das System versucht, diese maximal umfassend zu beantworten, indem es immer mehr standardisierte Referenzen einbezieht. Zukünftig sollen auch die verwendeten Quellen angegeben werden - ein Punkt, der derzeit noch häufig kritisiert wird. Denn momentan enthalten solche sachlichen Antworten keinerlei Quellenangaben, sodass man ihre Herkunft weder prüfen noch einschätzen kann.
Dieses Problem ist seit langem bekannt und einige Maschinen geben die Quellen bereits jetzt aus. Microsofts Chat-GPT macht das in einer Zusatzkomponente namens Chat-Pilot, und dieser Ansatz wird sich weiter verbreiten. Die hier gezeigte Antwort entspricht also noch dem Stand von vorgestern - morgen wird sie bereits anders aussehen.## Philosophische Grundlagen für die Weiterentwicklung von AI-Modellen
In den letzten Jahren ist das Interesse an der Philosophie im Kontext der Künstlichen Intelligenz (AI) merklich gewachsen. Die theoretische Philosophie hat sich im vergangenen Jahrhundert intensiv mit Fragestellungen beschäftigt, die heute für die Weiterentwicklung der AI von höchster Relevanz sind, bisher aber noch nicht ausreichend genutzt werden.
8.3.1 Grenzen aktueller AI-Modelle bei der Informationsverarbeitung
Aktuelle AI-Modelle wie ChatGPT oder Claude von Anthropic zeigen bereits beeindruckende Fähigkeiten, wenn es darum geht, auf Nutzereingaben einzugehen und themenbezogene Antworten zu generieren. Allerdings stoßen sie schnell an ihre Grenzen, wenn es um die Bewertung der Gültigkeit, Wichtigkeit und Seriosität der verwendeten Quellen geht. Eine fundierte Abwägung der zugrunde liegenden Informationen findet nicht statt.
8.3.2 Philosophische Ansätze zur Verbesserung von AI-Modellen
Die Philosophie bietet hier wertvolle Ansatzpunkte, um die Leistungsfähigkeit von AI-Modellen zu verbessern. Ein Kernthema ist dabei die Identifikation und Beurteilung von Argumenten. AI-Modelle müssen in der Lage sein, Argumente in Texten zu erkennen, deren Struktur zu analysieren und ihre Schlüssigkeit zu bewerten. Dies ist eine zentrale Fähigkeit für jede Form von AI, die den Namen “Intelligenz” verdient.
8.3.2.1 Rekonstruktion von Argumenten als Herausforderung
Die korrekte Rekonstruktion von Argumenten stellt AI-Modelle vor große Herausforderungen. Selbst scheinbar irrelevante Informationen können im Gesamtkontext eines Arguments plötzlich an Bedeutung gewinnen. Eine vorschnelle Aussortierung vermeintlich irrelevanter Details ist daher problematisch. Stattdessen müssen AI-Modelle lernen, potenzielle kausale Zusammenhänge zwischen verschiedenen Faktoren zu erkennen und zu bewerten.
8.3.2.2 Trainingsmodelle für kausales Schließen
Derzeit fehlt es an geeigneten Trainingsmodellen, um AI-Modelle im Bereich des kausalen Schließens zu schulen. Die Modelle füllen diese Lücke oft durch Plausibilitätsspekulationen, was jedoch mit erheblichen Risiken verbunden ist. Die Philosophie kann hier wertvolle Impulse liefern, um neue Trainingsansätze zu entwickeln und die Leistungsfähigkeit von AI-Modellen im Bereich der Argumentation und Erklärung zu verbessern.
8.3.3 Identifikation und Beurteilung von Argumenten als zentrale Aufgabe der AI
Die Identifikation und Beurteilung von Argumenten ist eine der wichtigsten Aufgaben, die AI-Modelle beherrschen müssen. Argumente sind die Angabe von Gründen, die die Plausibilität oder Wahrheit einer These stützen, erhöhen oder belegen. Sie bilden den Kern jeder Erklärung und sind damit von zentraler Bedeutung für die Beantwortung von Fragen wie “Warum ist etwas so, wie es behauptet wird?” oder “Warum ist etwas nicht so oder wie ist es zu kritisieren?”.
8.3.4 Philosophische Befunde zur Argumentation
Die Philosophie hat sich intensiv mit der Struktur und Beurteilung von Argumenten beschäftigt und kann hier wertvolle Ergebnisse vorweisen. Diese Erkenntnisse müssen nun für die Weiterentwicklung von AI-Modellen nutzbar gemacht werden. Dabei geht es zunächst darum, AI-Modellen beizubringen, Argumente überhaupt zu erkennen und deren Struktur zu analysieren.
8.3.5 Unterstützung von AI-Modellen bei der Argumentanalyse
Mit der richtigen Hilfestellung können AI-Modelle lernen, Argumente zu identifizieren und zu beurteilen. Dazu bedarf es keiner übermäßig komplexen Ansätze, sondern grundlegender Kenntnisse aus der Philosophie und Logik. Durch gezielte Anleitung und Fokussierung auf die wesentlichen Aspekte eines Textes können AI-Modelle Schritt für Schritt an die Analyse von Argumenten herangeführt werden.
8.3.5.1 Formulierung des Erkenntnisinteresses
Ein wichtiger Schritt dabei ist die Formulierung des Erkenntnisinteresses an einem Text. Im Falle der Argumentation lautet die zentrale Frage: Ist das präsentierte Argument schlüssig? Diese philosophische Kernfrage muss jede AI beherrschen, um sinnvolle Erklärungen und Argumentationen zu liefern.
8.3.5.2 Identifikation von Argumenten und Beurteilung ihrer Schlüssigkeit
Die zwei Kernelemente, die jede AI in Bezug auf Argumentation beherrschen muss, sind:
- Die Identifikation von Argumenten in einem Text
- Die Beurteilung der Schlüssigkeit dieser Argumente
Nur wenn eine AI in der Lage ist, diese beiden Aufgaben zuverlässig zu bewältigen, kann sie als wirklich intelligent bezeichnet werden. Dazu bedarf es einer gezielten Schulung und der Integration philosophischer Erkenntnisse in die Entwicklung von AI-Modellen.## Argumentanalyse in der Philosophie
Meine Damen und Herren, ich möchte heute mit Ihnen über ein faszinierendes Thema sprechen: die Beurteilung von Argumenten mithilfe von AI-Systemen. Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Frage und möchten wissen, ob es in Ihrer umfangreichen Bibliothek mit tausenden von Büchern oder in einer Sammlung von Expertenpublikationen ein Argument gibt, das eine bestimmte These begründet. Diese Fragestellung ist der Kern jeder erklärungsbedürftigen Suche.
8.3.6 Ein Schema der Argumentanalyse
Das Schema für eine solche Anfrage ist im Grunde gar nicht so kompliziert. Sie können es in jedem Chat selbst ausprobieren und sehen, was zunächst mit Voreinstellungen herauskommt. Doch die Zukunft liegt darin, diese Voreinstellungen durch verfeinerte Expertenkomponenten zu ersetzen.
Lassen Sie uns dieses Schema genauer betrachten, als ob wir uns in einer mentalen Chatsituation befinden und fehlende Informationen hinzufügen. Wir haben eine Instruktion, die eine auszuführende Handlung formuliert. Obwohl es hier um eine Maschine geht und Handlungen normalerweise personenbezogen sind, erwarten wir, dass das AI-System diese Handlung ausführt und zu einem Ergebnis führt.
8.3.6.1 Detaillierung des Schemas
Detaillierter betrachtet, besteht unser Schema aus folgenden Elementen:
- Eine Instruktion, die sich auf einen Text bezieht und ein Ziel formuliert (hier: Beurteilung der Schlüssigkeit eines Arguments)
- Die Ausführung durch das KI-System
- Das erwartete Ergebnis (hier: das Urteil über die Schlüssigkeit des Arguments)
Wir erwarten eine korrekte Ausführung dieser Instruktion, ohne halluzinierte oder schlecht begründete Antworten.
8.3.7 Die Kernfrage
Die Kernfrage lautet: Gibt es derzeit ein Verfahren, das bei der Eingabe einer sehr großen Menge von Sätzen (z.B. Millionen) entscheiden kann, ob diese Sätze ein Argument enthalten, das eine zu beurteilende These rechtfertigt? Und zwar ein Verfahren, das auch jetzt ausführbar ist?
Dank der Erträge der Philosophie der letzten 100 Jahre können wir diese Frage prinzipiell bejahen - bei beliebig großen, aber endlichen Mengen von Sätzen. Die Zahl der Sätze ist nicht so entscheidend. Entscheidend sind die philosophischen Komponenten, die man braucht, um eine solche prinzipielle Frage an einem prinzipiellen Text grundsätzlich zu entscheiden.
8.3.8 Zuverlässigkeit der Argumentanalyse durch AI
Was Sie derzeit von AI-Modellen erhalten, sind oft nur Meinungsäußerungen, deren Korrektheit der normale Nutzer nicht beurteilen kann. Darauf sollten Sie Ihre eigenen wissenschaftlichen Arbeiten nicht stützen.
Wenn Sie jedoch sicher sind, dass es ein Verfahren gibt, bei dem die Beantwortung der Frage nach der Bewertung von Argumenten prinzipiell stimmt, haben Sie einen Schlüssel in der Hand. Es ist wie bei einem Taschenrechner: Sie erwarten zuverlässige Ergebnisse, weil Sie wissen, dass er korrekt konstruiert ist.
Diese Zuverlässigkeit erwarten wir jetzt auch von der KI im Bereich der Argumentanalyse. Die Philosophie hat alle nötigen Techniken und Instrumente dafür. Es wird wohl nur noch ein halbes bis ein Jahr dauern, bis die Modelle diese Techniken umsetzen.
8.4 Ein Beispiel für Argumentanalyse
Betrachten wir ein Beispiel, um zu sehen, wie AI-Modelle derzeit mit der Aufgabe der Argumentanalyse umgehen. Dazu geben wir folgenden Text ein:
Wir instruieren das Modell, den Text danach zu beurteilen, ob ein schlüssiges Argument vorliegt oder nicht, und sich dabei auf die Beurteilung des Arguments selbst zu konzentrieren, nicht auf die Sachbeurteilung.
Das beste aktuelle Modell kommt zu dem falschen Befund, dass kein schlüssiges Argument vorliegt. Das darf nicht passieren - es ist, als würde ein Taschenrechner grundsätzlich falsche Zahlen ausgeben. Die Logik ist sehr eindeutig, was ein Argument ausmacht und was es heißt, ein Argument auf Schlüssigkeit zu prüfen.
8.4.1 Schlüssigkeit vs. Triftigkeit
Für Philosophen ist der Unterschied zwischen Schlüssigkeit und Triftigkeit klar:
Ein Argument ist schlüssig, wenn unter der Voraussetzung der Prämissen die Konklusion mit Notwendigkeit folgt, unabhängig von der Wahrheit der Prämissen.
Triftigkeit hingegen erfordert zusätzlich, dass die Prämissen faktisch wahr sind.
Das Modell hat hier offenbar ein Sprachmissverständnis. Es verwendet den Begriff “Gültigkeit” im Sinne der philosophischen Definition von Schlüssigkeit. Solche Missverständnisse können wir durch Interaktion in Chats korrigieren, indem wir die Begriffe präzisieren.
Nach der Korrektur kommt das Modell zu dem richtigen Befund, dass das präsentierte Argument logisch schlüssig ist. Die Beurteilung ist nun klar.
8.4.2 Methodisches Vorgehen bei der Argumentanalyse
Um die Frage der Schlüssigkeit eines Arguments noch präziser zu beantworten, können wir dem Modell eine detaillierte Instruktion geben, wie es methodisch vorgehen soll. Diese Methode formulieren wir in üblicher Sprache und geben zusätzlich sprachklärende Definitionen.
Die Modelle arbeiten im Hintergrund mit zwei prinzipiellen Verfahren:
- Eine lineare Abfolge von Handlungen (Verkettung von Arbeitsschritten)
- Eine Aufgliederung der Aufgabe in Teilaufgaben
Beide Elemente sind kritisch für die Lösung der ursprünglichen Frage. Welche Aufteilung von Arbeitsschritten wird geplant? Und wie kann eine komplexe Aufgabe in Teilaufgaben zergliedert werden?
Wenn ein Modell gut darin ist, einen solchen Handlungsplan zu entwickeln, dann kann es - wie die Philosophie beweisen kann - die Frage nach der Schlüssigkeit eines Arguments prinzipiell korrekt beantworten. Dann erhalten wir von den KI-Modellen eine Garantie für die Korrektheit der Beurteilung, ähnlich wie bei einem Taschenrechner.
8.4.3 Ein Verfahren nach Wittgensteins Tractatus
Ich möchte Ihnen nun ein Verfahren vorstellen, das auf Wittgensteins Tractatus zurückgeht. Dieses Verfahren ist für unsere Zwecke vollkommen ausreichend und hat die gewünschte Qualität: Wenn man es korrekt umsetzt, erhält man eine Garantie für die Korrektheit der Argumentbeurteilung.
Die Details dieses Verfahrens werde ich Ihnen in der nächsten Vorlesung erläutern. Bis dahin können Sie selbst ein wenig experimentieren und sehen, wie weit Sie mit den derzeitigen AI-Modellen bei der Analyse von Argumenten kommen.
Ich freue mich darauf, dieses spannende Thema in der nächsten Sitzung mit Ihnen zu vertiefen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!## Einleitung in die Methode der Wahrheitstabellen
In der heutigen Vorlesung möchte ich Ihnen eine mächtige Methode vorstellen, mit der wir die Schlüssigkeit von Argumenten überprüfen können - die Methode der Wahrheitstabellen, auf Englisch auch als “Truth Tables” bekannt. Diese Methode geht zurück auf den österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein und sein bahnbrechendes Werk, den “Tractatus Logico-Philosophicus”.
Wittgenstein postulierte, dass man bei einer präzisen Reformulierung von Sätzen garantieren kann, dass die Antwort auf die Frage nach der Gültigkeit eines Arguments immer korrekt ist. Wie funktioniert das nun im Detail? Lassen Sie es mich Ihnen Schritt für Schritt erklären.
8.4.4 Anwendung der Methode auf ein konkretes Beispiel
Um die Methode der Wahrheitstabellen anzuwenden, geben wir zunächst ein Argument ein, das wir auf seine Schlüssigkeit hin überprüfen wollen. Dazu verwenden wir eine spezielle Notation: “ARG” steht dabei als Platzhalter für einen beliebigen Text, den wir analysieren möchten. Das kann ein philosophischer Text sein, ein literarischer Text wie Goethes Briefe, oder sogar ein juristischer Text.
Nun fügen wir diesen Text in unser Analyseschema ein und starten einen neuen Chat mit unserem AI-Modell. Wir geben den Begriff “Truth Table” ein und warten gespannt, was das Modell damit anfängt.
8.5 Analyse mit Wahrheitstabellen
Das AI-Modell beginnt nun, das Argument mit Hilfe von Wahrheitstabellen zu analysieren, um zu bestimmen, ob es gültig ist oder nicht. Dabei verwendet es den Begriff “gültig” anstelle von “schlüssig”, aber die Bedeutung ist dieselbe.
8.5.1 Identifikation der Aussagen im Text
Der erste Schritt in diesem Verfahren ist es, die im Text enthaltenen Aussagen zu identifizieren. Dies ist ein entscheidender Schritt, denn wenn hier Fehler passieren, wird alles Folgende problematisch.
In einem beliebigen Text ist nämlich zunächst einmal nicht klar, ob bestimmte Ausdrücke überhaupt Sätze sind, und wenn ja, welche Art von Sätzen. Für unsere Analyse benötigen wir Propositionen, also Sätze, die Aussagen ausdrücken, die entweder wahr oder falsch sind. Nicht jeder Satz erfüllt dieses Kriterium - Ausrufe, Befehle, Wünsche etc. sind keine Propositionen.
In unserem Beispieltext identifiziert das Modell folgende vier Propositionen:
- P: Die Menschheit erzeugt zu viel CO2.
- Q: Der Wasserspiegel des Ozeans steigt.
- R: Der Lebensstandard in Italien ist sehr hoch.
- S: Der Lebensstandard in Indien ist so hoch wie in Italien.
8.5.2 Berechnung der Wahrheitswerte
Im nächsten Schritt berechnet die Wahrheitswerttafel eine Kombination aller möglichen Wahrheitswerte für diese vier Propositionen. Bei vier Variablen ergeben sich 16 Zeilen, die alle Kombinationen von “wahr” und “falsch” durchspielen.
Die zu analysierenden Argumente lauten dabei:
- Wenn P, dann Q.
- R und P.
- Nicht S, also Q.
Das Modell erkennt diese Argumente korrekt und trägt sie in die Wahrheitstabelle ein.
8.5.3 Fehleranalyse und Korrektur
Nun passiert jedoch etwas Überraschendes: Obwohl wir die “wasserdichte” Methode Wittgensteins anwenden, kommt das Modell zu dem Schluss, dass das Argument nicht gültig ist. Wie kann das sein?
8.5.3.1 Fehlersuche in der Wahrheitstabelle
Um den Fehler zu finden, müssen wir die Wahrheitstabelle genau unter die Lupe nehmen. Ein Argument ist genau dann gültig, wenn in jeder Zeile, in der alle Prämissen wahr sind, auch die Konklusion wahr ist.
Das Modell behauptet nun, es gäbe eine Zeile (nämlich die zweite), in der alle Prämissen und die Konklusion wahr sind, in allen anderen Zeilen mit wahren Prämissen sei die Konklusion falsch. Doch dieser Befund ist nicht korrekt.
Tatsächlich gibt es gar keine Zeile in der Tabelle, in der alle drei Prämissen wahr sind und die Konklusion falsch ist - ein solcher Fall existiert schlichtweg nicht. Hier ist dem Modell offenbar ein simpler Zählfehler unterlaufen.
8.5.3.2 Korrektur durch präzise Anweisungen
Um solche Fehler zu vermeiden, müssen wir dem Modell präzise Anweisungen geben, wie es vorzugehen hat. Wir trainieren es sozusagen philosophisch, indem wir zentrale Begriffe vorgeben und die nötigen Schritte explizit erklären.
Dazu gehören Anweisungen wie:
- Standardisiere die Ausdrücke, um Missverständnisse zu vermeiden.
- Führe eine formallogische Analyse durch.
- Erstelle eine Tabelle mit den Sätzen und ihrer logischen Struktur.
- Erläutere Begriffe wie “Annahme”, “Konklusion” etc.
- Erkläre, wie die Schlüssigkeit geprüft wird.
- Streiche irrelevante Zeilen und fokussiere auf die entscheidenden Fälle.
Wenn wir diese Schritte befolgen und an den richtigen Stellen nachjustieren, können wir die begrifflichen Lücken im Modell schließen und erhalten ein Verfahren, das zuverlässig die Schlüssigkeit von Argumenten überprüft.
8.5.4 Ausblick auf weiterführende Methoden
Die hier vorgestellte Methode der Wahrheitstabellen ist ein erster, grundlegender Schritt. Die analytische Philosophie hat seit den 1930er Jahren noch effizientere Verfahren entwickelt, um die Schlüssigkeit von Argumenten zu überprüfen.
Ein Beispiel dafür ist der Quine-McCluskey-Algorithmus, der die Tabellenverfahren abkürzt und optimiert. Auch diesen Algorithmus können wir in unser AI-Modell integrieren, sodass es auf Anfrage den Algorithmus ausgibt und anwendet.
All diese Methoden und Hintergründe sind in den AI-Modellen bereits angelegt - es gilt nur, die richtigen begrifflichen Lücken zu füllen und präzise Anweisungen zu geben. Dann haben wir ein mächtiges Werkzeug, um schlüssig zu argumentieren und zu schließen - die Basis für alle weiteren Kompetenzen, die wir in Zukunft behandeln werden.